„Zur Wahrscheinlichkeit gehört auch, daß das Unwahrscheinliche eintreten kann!“(Aristoteles)
So lautete das Motto zu einem meiner letzten Workshops. Als ich es ausgewählt habe, hatte ich keine Ahnung, daß dieses uralte Zitat kurze Zeit nach meiner Veröffentlichung durch die dreifache Katastrophe in Japan, auf äusserst tragischer Weise bestätigt wird. Noch nie zuvor habe ich die Worte „unwahrscheinlich, undenkbar, unberechenbar, unvorstellbar“ so häufig gehört und gelesen, wie in der ersten Woche nach der Katastrophe.
In den vergangenen 10 Jahren bin ich bereits zum dritten mal morgens wachgeworden und fand eine Welt vor, die am Abend davor noch ganz anders war. Erst 9/11, dann die Finanzkrise und nun Japan. Und jedes mal wurde ein scheinbar unverwüstliches Konzept im innersten Mark erschüttert, jedes mal gab es vorher einige Anzeichen, die nicht verstanden wurden und jedesmal haben sich viele kleine Ursachen in einer großen Katastrophe entladen.
Unsere immer komplexer werdende Welt verändert sich so rapide, daß das was heute neu ist, morgen schon überholt und das was jetzt Sicherheit bietet, im nächsten Augenblick bereits in einem diffusen Nebel verschwunden sein kann.
Nach den Ereignissen in Japan drängt sich die Erkenntnis auf, daß Sicherheit ohnehin eine Illusion ist. Die alten Griechen wußten das schon, nur haben wir es zwischendurch vergessen, weil wir einige Jahrhunderte lang dachten, es könnte uns gelingen die Welt von A bis Z zu vermessen, um die Natur zu kontrollieren und somit die unerträgliche Ohnmacht einer völlig bedeutungslosen Spezies am äusseren Rand einer Galaxie, zu beenden. Die Gewißheit eines deterministischen Weltbildes, das der Menschheit seit Newton einen festen Boden unter den Füssen versprach, schwindet dahin, vorbei die komfortable Überschaubarkeit einer planbaren Zukunft; es ist Zeit für einen mächtigen Paradigmenwechsel.
Ich sehe nur eine Möglichkeit, sich auf das Abenteuer Zukunft einzulassen, ohne an der eigenen Hilflosigkeit und Angst zu zerbrechen und das ist Vertrauen. Um Vetrauen in die Ungewissheiten der möglichen Zukünfte zu entwickeln ist es sehr hilfreich, sich die Zeit für einen möglichst weiten und offenen Blick in die Vergangenheit zu nehmen. Das Universum funktioniert seit 13,75 Milliarden Jahren sehr erfolgreich und obwohl die Wahrscheinlichkeit äusserst gering war, hat es sogar Leben hervorgebracht. Der Homo Sapiens kam zwar etwas später, bevölkert aber auch schon seit ca. 160 000 Jahren diesen Planeten. Summasummarum ist das Leben in diesem relativ kurzem Zeitraum für die Menschen immer angenehmer geworden. Auch wenn manche Mieselpeter behaupten, daß früher alles besser war, ich persönlich möchte mein Leben mit Zentralheizung und warmes Wasser nicht gegen irgendein früheres tauschen, trotz aller romantischen Verklärung. Früher war nämlich nichts besser, nur neigt der Mensch dazu Vergangenes zu idealisieren, Unangenehmes zu verdrängen, um dafür angenehme Erinnerungen im Laufe der Lebensjahre in den buntesten Farben auszumalen. Wenn ich also weit genug zurückblicke, dann entdecke ich tatsächlich eine konstante Verbesserung der Lebensbedingungen, die nicht etwa schicksalhaft über die Menscheit kam, sondern durch permanentes Lernen und Optimierung/Versuch und Irrtum. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß diese Tendenz nicht auch weiterhin anhält. Sicherlich kann man das Leben auch pessimistischer sehen, aber ich wüsste nicht wozu das gut sein sollte.
Ich gehe davon aus, daß die Zukunft jede Menge Geschenke zu vergeben hat, wenn wir bereit sind den fortlaufenden Veränderungen mit Freude und Neugierde entgegen zu gehen.
Die wachsende Komplexität und die Unbeherrschbarkeit einer werdenden Welt , in der es keine Dauer gibt, wird man nur durch persönlichem Wachstum halbwegs beherrschen können.
Flexibilität und Anpassungsbereitschaft bei gleichzeitiger inneren Stabilität werden die Tools sein, um mit einer Vielzahl von Variabilitäten auf kluger Weise zu experimentieren und leben zu lernen. Bei aller Vielheit wird jedoch auch die Fähigkeit schnelle Entscheidungen zu fällen, Filter einzusetzen und klare Prioritäten zu setzen notwendig, auch wenn es zunächst wiedersprüchlich klingt. Wachsende Komplexität bedeutet Erweiterung in alle Richtungen, der Mensch wird lernen müssen in diesem Chaos der Potentionalitäten und der ambivalenten Werte erfolgreich zu navigieren. Die Furcht vor der Ungewissheit können wir getrost gegen die Lust am Entdecken und Erforschen tauschen, unser Gehirn erträgt ohnehin keine Langeweile, es braucht ständig neue Sensationen, weil es große Freude an Wachstum und Entwicklung hat.
Ich bin mir sicher, daß wir es schaffen werden, wir sind für Veränderungen bestens ausstaffiert, wir alle sind Pioniere und für die Verwaltung eines immer fragwürdiger werdenden Wohlstandes langfristig nicht geeignet.
Der Motor unserer geistigen Evolution heißt Neugierde, Offenheit und Risikobereitschaft, unsere wichtigsten und bisher erfolgreichsten Werkzeuge sind Kreativität, Intelligenz und Intuition. Natürlich sind bei soviel Spieltrieb Fehler vorprogrammiert, aber gerade unsere Lücken machen uns so menschlich und Fehler sind doch nur der Beweis dafür, daß jemand couragiert etwas Neues versucht, ausprobiert hat. Computer können annähernd perfekte Leistungen erbringen, wenn wir ihnen die nötigen Vorgaben liefern, sie können wunderbar Daten speichern und verwalten. Sie können aber nicht in völliger Selbstversunkenheit spielen, sie fragen nicht nach Sinn, sondern erfüllen still und widerspruchslos ihren Zweck. Sie sind nützlich, aber entbehrlich. Der Mensch braucht zum Überleben nur sich selbst mit all seinen Gaben und Lücken, die Maschine aber braucht den Menschen, um zu funktionieren.
Vielleicht gehen wir auf eine Zukunft zu, in der wir befreit vom alltäglichem Kampf um die nackte Existenz endlich das tun können, wozu wir eigentlich geschaffen sind; eine Kultur zu etablieren, die uns wieder in die Welt integriert, ein Teil des Ganzen werden lässt und uns die Natur mit all ihren Phänomenen nicht als aus der Welt herausgelöste Beobachter erleben lässt, sondern uns mit der ersehnten Geborgenheit aufnimmt.
Und da wir mit einem Bein immer in der Zukunft stehen, sollten wir ganz schnell anfangen zu lernen.
Mal wieder ein sehr schöner Artikel!
Deine Art zu schreiben und zu analysieren gefällt mir gut.
Ich finde du darfst dich getrost von „Bergoma“ in „die weise Bergoma“ umbenennen 😉