Kunst kann beglücken,verstören, zutiefst ängstigen, Freude bereiten, aufklären, ermahnen, inspirieren und vieles mehr.
Heute Morgen – wie jeden Tag – habe ich meinen ersten Kaffee wieder einmal in meiner virtuellen Cafeteria eingenommen, bei Facebook. Das ist inzwischen ein festes Ritual in meinem Leben geworden, was man nur wirklich dann verstehen kann, wenn man weiß, wie ich lebe.

Dazu aber später mehr, sonst verliere ich den Faden.

Es ist gerade mal zwei Tage her, dass der Airbus über Frankreich abgestürzt ist und eigentlich wollte ich ohnehin ziemlich zeitnah einen Artikel über den Wert von Leid und Schmerz schreiben und weshalb wir nie verlernen dürfen zu trauern, aber statt dessen habe ich ein Bild gepostet, das ich kurz nach 9/11 gemalt habe und das ich seither gut verpackt auf dem Dachboden deponiert habe, wo es auch bleiben wird, bis ich den Ort gefunden habe, an dem ich glaube, dass das Bild seine Wirkung entfalten darf.

Heute früh sah ich zu meiner größten Überraschung, wie oft das Bild geliked wurde und als ich die beinahe entrüsteten Kommentare las, habe ich sofort beschlossen, zu erklären, weshalb das Bild auf dem Dachboden ist und vorerst auch dort bleiben wird.

9/11

was Kunst kann

Mein Leben war nicht immer so bunt und fröhlich, wie es manchem auf dem ersten Blick erscheinen mag und ich denke, insgeheim wissen es zumindest diejenigen, die mich persönlich kennen. Viele andere, die ich „nur“ über die Netzwerke kenne, werden es wohl ahnen, aber über solche Dinge spricht man nicht, zumindest nicht öffentlich und wie würde es denn aussehen, wenn mich jemand einfach fragen würde: „Du, Deine Bilder sind so schön bunt, hast Du etwa Depressionen?“

Niemand würde eine solche Frage stellen und außerdem ist es ja auch nicht wirklich logisch, oder?

Doch, es ist logisch und konsequent, aus der „Not“ eine „Tugend“ zu machen.

Es ist eine ganz und gar nicht unübliche Überlebensstrategie und wer weiß, wie viel Kunst wir hätten, wenn es nicht immer wieder ausreichend „gestörte“ gegeben hätte.

Allerdings mag ich das Wort Depression nicht, weil dadurch menschliche Befindlichkeiten pathologisiert werden, die uns alle so einmalig, so großartig und leider auch so verwundbar machen.

Ich bevorzuge statt dessen das Wort „Melancholie“, es klingt freundlicher, es klingt sinn-voller.

Im Kaninchenbau

Ich habe mit 14 angefangen zu malen und das war wohl eines der Ereignisse in meinem Leben, für die ich besonders dankbar bin. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ohne Malerei nicht älter als 27 geworden wäre.

Die Malerei wurde ganz schnell mein „Kaninchenloch“, der Ort an dem ich mich vor einer Welt verstecken konnte, die für mich zu groß, zu überwältigend, zu bedrohlich und unverständlich war.

Im Kaninchenloch konnte ich mir alles so einrichten, dass ich keine Angst haben musste und dass ich nicht einsam war. Manchmal bin ich natürlich auch aufgestiegen, aber meistens kam nichts Gutes dabei raus und so bin ich dann ziemlich gleich wieder in meine Welt abgetaucht.

Es ging eine ganze Weile gut, solange ich noch Kind war, war der Kaninchenbau ein Kinderzimmer, der mit sonderbaren Dingen und Wesen gefüllt war, Wesen, die meine Freunde wurden, mit denen ich sprach und spielte und all das tat, was Kinder eben tun.

Es wird dunkel

Als ich dann allmählich erwachsen wurde, hat mich meine Neugierde doch tiefer in den Bau hineingetrieben und noch tiefer und noch tiefer und das, was ich dort fand, war gar nicht mehr so makellos und unschuldig, so leicht und einfach; dort begegnete mir das Dunkle, das Böse, das Abgründige, das alle Menschen, als Schatten verfolgt und das die Macht hat, um liebevolle Familienväter in kürzester Zeit in sadistische Killermaschinen zu verwandeln.

Diese Erkenntnis ist sowohl unerträglich schockierend, als auch absolut notwendig, denn wenn wir unsere Monster nicht kennen, dann ist die Gefahr sehr groß, dass sie die vollständige Kontrolle übernehmen.

Nur ich war zu jung dafür. Und zu allein.

Musik half, Literatur half, die Malerei half, aber eine solche Verwundung entzündet sich leicht und wenn man jung ist, dann hat man noch nicht genügend Abwehrkräfte, um diesen zerstörerischen Prozess aufzuhalten.

Aber wie schon gesagt, ich habe die 27 überlebt.

Und das nicht zuletzt, weil ich rechtzeitig entschieden habe, die Monster ein für alle mal einzusperren. Ich begann mir die Welt bunt zu malen.

Gegen die Schatten malen

Ich erinnerte mich an den Kaninchenbau meiner Kindheit und wenn die Schatten auch manchmal unerträglich waren, so hatte ich doch immer etwas fröhliches Gelb, oder leuchtendes Rot, das ich gegen sie einsetzen konnte.

Zu der Zeit hatte ich natürlich noch nicht im entferntesten eine Ahnung, wohin mich die Malerei führen wird, sie war für mich einfach nur eine willkommene Waffe, gegen die Urgewalten, die manchmal in mir tobten.

Ich begann, meine Bilder zu verkaufen und stellte fest sehr bald verwundert fest, wie die meisten Menschen reagierten, wenn sie meine Bilder sahen; sie lächelten. Manche bekamen sogar einen ähnlichen Gesichtsausdruck, wie ich ihn so gut von meinen Freunden im Kaninchenbau kannte, sie wurden leicht und fröhlich und einfach.

Von da an kam es nur noch äußerst selten vor, dass meine Hand dem Schatten folgte. Über all die Jahre, die ich jetzt male, habe ich nur sehr wenige Bilder gemalt, die uns an das Widerwärtige der menschlichen Seele erinnern. Dazu gehört dieses Bild, das ich nach 9/11 gemalt habe und das ich versteckt halte.

Manchmal gelingt es mir einfach nicht, die Verzweiflung zu verbergen, die mich immer noch überfällt, wenn ich sehe, wie viel Tier immer noch in uns steckt, zu welcher gnadenlosen Gewalt wir fähig sind.

Für eine Idee. Für eine Weltanschauung oder für eine Religion können wir uns offenbar immer noch in kürzester Zeit zu tobenden Monstern verwandeln.

Schön und Gut

Und deshalb will ich die Menschen lieber mit all dem konfrontieren, das „gut“ in uns ist. Ein wenig Paradies (auch wenn es eine Illusion ist) in sich zu bewahren ist immer besser, als barfuß durch die Hölle zu marschieren.

Teilhard de Chardin sagte einmal: „Das Böse ist ein evolutionäres Abfallprodukt.“

Daran glaube ich, ich weiß, dass wir die Schatten nicht für immer verscheuchen können, aber wenn wir das Gute in uns pflegen, dann verschwinden sie vielleicht von selbst.

PS.: Eigentlich müsste hier noch ein Artikel direkt folgen, in dem ich erkläre, was ich heute über die emotionale Wirkung von Bildern weiß, ich arbeite daran.