Es ist schon einige Zeit her, dass die ersten schockierenden Meldungen das ganze Land, ja sogar den gesamten Planeten, wie ein Tsunami überrollt haben; der tragische Absturz der Germanwings Maschine in den französischen Alpen.
Und wie es so ist, wie es leider immer so ist, sind die Meldungen inzwischen aus den Nachrichten verschwunden, denn es gibt neue Dramen und Katastrophen, die uns ähnlich wie bei dem Absturz den Atem rauben und uns mit all unserer hilflosen Wut zurück lassen.
Aber eigentlich wäre genau jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um mit einigermaßen klarem Kopf doch noch einmal über den Absturz, der Vorgeschichte und den Folgen nachzudenken.
Ich möchte die Ereignisse jetzt nicht zum x- ten mal wiederholen, jeder kennt inzwischen weit mehr, als es eigentlich gesund wäre und trotzdem, habe ich den Eindruck, dass wir einen, meiner Ansicht nach sehr wichtigen Aspekt kaum, oder gar nicht diskutiert haben.
Ungeklärte Rätsel
Wir mögen es nicht, wenn Rätsel unerklärt bleiben und wenn nach solchen Ereignissen der Schuldige gefunden ist, dann neigen wir dazu, zu vergessen und abzuhaken. Das mag zwar eine für die individuelle Psyche recht gesunder Mechanismus zu sein, aber es verhindert auch, dass wir mit unserer Analyse tiefer eindringen.
Die meisten Fragen in den sozialen Netzwerken und in den Nachrichten lauten so oder so ähnlich wie: „Warum hat er das getan?“, „Wie kann ein Mensch so etwas tun?“, „War die Lufthansa schuld?“ und so weiter.
Ich würde diese Liste der Fragen gerne mit einer ergänzen, die ich so bisher noch nirgendwo gelesen habe: „Wieso hat ihn keiner gehört?“
Die Rede ist von Depressionen, von narzisstischer Störung, aber irgendwie will das alles nicht so recht passen, denn Massenmord gehört ganz und gar nicht in die Liste der Symptome von depressiven Erkrankungen und wer Menschen mit narzisstischen Störungen kennt, der weiß, wie uneinsichtig und größenwahnsinnig sie sein können, das Leiden muss schon unerträglich sein, bevor sie bereit sind, sich selbst einzugestehen, dass sie etwas ändern müssen und bevor sie dann die ersten konkreten Schritte unternehmen und endlich einen Arzt konsultieren, können leider Jahre vergehen.
Dieser Co-Pilot, der bedauerlicherweise nach seinem Tod im öffentlichen Verständnis zu einem psychopathischen Monster mutiert ist, ist aber seit Jahren zu diversen Ärzten gegangen.
Er hat seine Erkrankung nicht geheim gehalten, sogar im Gegenteil, es scheint, als wäre er sich relativ sicher gewesen, dass er „nicht in Ordnung ist“.
Den Wald vor Bäumen nicht sehen
Könnte es vielleicht sein, dass die eigentliche Ursache für dieses tragische Ereignis nicht dort zu finden ist, wo wir suchen? Dass das Naheliegende anzunehmen vielleicht – wie sehr oft – so bequem und komfortabel ist, weil es die unangenehme Wahrheit so perfekt überdeckt?
Ich möchte mir keineswegs herausnehmen zu behaupten, dass ich die wahren Motive und Hintergründe kenne.
Ich möchte lediglich anregen über einen Aspekt nachzudenken, der uns alle etwas angeht.
Sind der Co-Pilot und mit ihm die 149 unschuldigen Menschen nicht eventuell Opfer unserer Oberflächlichkeit geworden?
Könnte es nicht vielleicht sein, dass es uns genügt, wenn die Menschen um uns herum einfach nur gut funktionieren, ihre Aufgaben erledigen und möglichst nicht auffallen?
Wir haben Systeme geschaffen, deren Parameter so klar und so unverrückbar sind, dass wir vergessen, wie vielfältig und abgründig wir Menschen sind.
unauffällig und freundlich – das genügt
Der Co-Pilot war nach Aussagen aller, die man im Fernsehen gesehen und gehört hat, ein „unauffälliger, freundlicher Mann“. Reicht das schon wirklich aus, um sich keine Sorgen zu machen, um nicht näher hinzusehen, nicht einmal dann, wenn ein offensichtlich kranker Mensch, sogar relativ laut nach Hilfe ruft?
Das Kommende ist absehbar; es wird Gerichtsverhandlungen geben, es wird Entschädigungen geben, zahlreiche Ingenieure werden das Konzept der Cockpit Tür noch einmal überdenken, einige Ärzte und Vorgesetzte werden vielleicht zur Rechenschaft gezogen und irgendwann erinnert nur noch ein Gedenkstein an die Hölle all jener, die um ihre Angehörigen trauern.
Ihr Tod und all das nachfolgende Leid bekommen nur dann einen Sinn, wenn wir alle Aspekte dieses Unglücks überdenken und dazu gehört eben auch der, der mit uns allen zu tun hat.
Wie konnten wir so gleichgültig werden, wieso verschließen wir unsere Herzen, wenn jemand in unserer Umgebung offenbar leidet?
Wir alle machen es uns zu einfach, wenn wir dieser Frage nicht nachgehen, aber das mögen wir ja; schnelle, einfache Erklärungen, die uns möglichst nicht allzu lang von der großen Party abhalten, die wir so gerne feiern – wir, die perfekten, die unfehlbaren, wir, die alle so gut funktionieren.
Das ist die eigentliche Tragik; es ist nicht „nur“ ein Flugzeug und auch nicht die journalistische Ethik abgestürzt, sondern wir alle befinden uns im Sinkflug.
Wir sind dabei unsere schönsten Eigenschaften aufzugeben und mutieren zu gesichtslosen Wesen, die zwar tatsächlich in der Regel gut funktionieren, aber mehr auch nicht.
Wir sollten wenigstens jetzt hören, was uns der Co-Pilot erzählt, vielleicht war er Ikarus und Daidalos in einer Person.
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