Buchstabensalat – gemalte Worte
Worte können die Welt erklären, Worte öffnen die Türen zu fremden Gedanken; sie füllen die Bibel, mit ihnen teilt man einem geliebten Menschen mit, wie sehr man ihn liebt, Worte können zutiefst kränken und demütigen, sie sind überall und bestimmen das Wohlergehen von ganzen Gesellschaften; aus ihnen besteht sowohl die unsterbliche Weltliteratur, als auch die Gebrauchsanweisung für den Geschirrspüler und der Brief an das Finanzamt, in dem man um Zahlungsaufschub der überfälligen Einkommenssteuer bittet.
Das Wort ist ebenso mächtig, wie allgegenwärtig; ohne Sprache keine Zivilisation, keine Kultur. Keine Geschichten, die wir seit vielen Tausend Jahren an die nächste Generation weiter geben und kein Wittgenstein, der sogar die Grenzen seiner Welt mit den Grenzen seiner Sprache gleichsetzt.
So weit so gut – aber was sind Worte?
Was sind Buchstaben?
Buchstaben sind für unsere oberste Informationsverarbeitungs- und Mustererkennungsmaschine, nicht mehr, als all die anderen Symbole, die es beständig zu sinnhaften Botschaften zusammen fügen muss.
Nehmen wir einmal das Wort „Hund“. Wenn jemand, der die Deutsche Sprache beherrscht dieses Wort sieht, dann entsteht in seinem Gehirn nicht etwa ein Abbild dieser Buchstaben, sondern das vierbeinige, bellende Tier, das wir so liebevoll als den „Menschen besten Freund“ bezeichnen. Ein Chinese allerdings, der kein Deutsch spricht, wird nur einige Linien wahrnehmen, die für ihn vermutlich keinerlei sinnhafte Bedeutung haben. In seinem Oberstübchen wird kein Bild eines vierbeinigen Tieres entstehen, er wird mit dieser Buchstabenfolge nichts assoziieren können.
Andere Symbole
Ganz anders jedoch, wenn wir andere Symbole verwenden. Wenn wir versuchen das betreffende Objekt zu zeichnen. Dann genügen sogar wenige Striche, um im Gehirn ein Abbild zu erzeugen; sogar wenn wir nur zwei Punkte auf einer Fläche sehen, die nahe genug beieinander liegen, um zwei Augen darstellen zu können, werden wir sofort ein Wesen assoziieren, das durch zwei optische Sensoren in die Welt hinausschaut.
Wir Menschen sind eigentlich Bilderdenker, die Sprachfähigkeit hat uns zwar sehr weit gebracht, aber dahinter in einer viel älteren Region unseres Gehirns denken wir ausschließlich, in dem wir Symbole sozusagen decodieren und zu verständlichen Bildern wieder zusammen setzen. Das sollten wir wissen und niemals vergessen, denn wenn die Welt tatsächlich dort endet, wo die Sprache aufhört, dann ist sie ziemlich eng.
In Bildern denken
In Bildern denken heißt frei denken; offen sein für all das, was Sprache nicht zu vermitteln vermag. Und ich möchte sogar noch etwas weiter gehen.
Vielleicht beginnt die wirkliche Welt sogar erst dort, wo Sprache nicht mehr hinreicht, wo es nur noch Bilder gibt – mit Sicherheit kann man das nicht behaupten, aber hie und da mal auszuprobieren, was passiert, wenn man einfach nur schaut und dabei all die Buchstabenkombinationen ignoriert, die sich in unseren Köpfen tagaus tagein um die besten Plätze streiten, das kann niemandem schaden. Vielleicht entfaltet sich die Welt in seiner ganzen überwältigenden Schönheit erst dort, wo die Sprache verstummt und wo wir sie nicht mehr mit Worten bändigen können.
Die Serie Buchstabensalat ist im Sommer 2007 in der Provence entstanden.
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