Es ist schon eine überaus erstaunliche Zeit in der wir leben. Noch nie zuvor waren so viele Menschen so reich, so gut medizinisch versorgt, so gut gebildet etc. wie heute. Und dennoch scheint es entweder an Phantasie, oder an Mut zu mangeln, das wir benötigen würden, um eine Utopie der Zukunft zu entwickeln, die viele Menschen begeistert und mitreisst. Ich verwende mit voller Absicht das Wort „Utopie“ und nicht „Vision“.
Der Begriff „Vision“ würde vielleicht auch passen, aber es ist inzwischen derart verschlissen und missbraucht, dass es nicht mehr auch nur annähernd die Assoziation hervorruft, die es eigentlich sollte. Ausserdem ist „Utopie“ etwas übergeordnetes, etwas das vielleicht nie realisiert werden kann. Die Realisation ist ja auch keineswegs die Absicht, vielmehr geht es lediglich darum, dass wir uns mal erlauben sollten die selbstauferlegten Beschränkungen zumindest kurzzeitig aufzuheben und hinauszuträumen in eine Zukunft, die seinen Ursprung zwar in der Gegenwart und Vergangenheit hat und dennoch losgelöst ist von all dem, was die Phantasie blockiert.

Hinausdenken ins Unmögliche

Wir neigen dazu Ideen zu schnell als „nicht realisierbar“, oder „unmöglich“ zu verwerfen, anstatt die Phantasie zu nutzen, die unzählige Lösungen für viele der Probleme liefern könnte, die wir heute für unlösbar halten.
Manchmal habe ich das Gefühl, als würden zumindest die westlichen Industrienationen vor einer schwarzen Mauer stehen, wenn es um die Zukunft geht. Es ist ja auch tatsächlich so, dass es den meisten Menschen in den Industrienationen einfach sehr gut geht. Unsere Lebensart und all die Möglichkeiten, die wir haben, hätten meine Grosseltern noch für eine spinnerte Utopie gehalten. Und dennoch haben wir es in wenigen Jahrzehnten geschafft. Und das ist vermutlich auch das Problem, denn weshalb sollten wir das Risiko, die Veränderungen immer mit sich bringen, eingehen? Warum sollten wir riskieren einen Teil von unserem Wohlstand gegebenenfalls aufgeben zu müssen? Wir Menschen meiden Verluste jedweder Art, deshalb bräuchten wir dringend eine Utopie, bei der wir einiges gewinnen könnten, anstatt das zu sehen, was wir gegebenenfalls aufgeben müssten.

Was können wir gewinnen?

Die Frage muss sein: „Was können wir gewinnen?“ und wir müssten sie sehr schnell stellen, denn wir fürchten nicht nur Verluste, ebensowenig mögen wir es auch nicht auf Gewinne zu lange warten zu müssen. Die Argumentation von Fridays for Future die Erwachsenen würden die Zukunft der heute jungen Generation verspielen mag richtig sein und es mag vielleicht bei einigen einen kurzen Moment am Gewissen nagen, aber es bleibt zu vage und der Zeitrahmen ist zu weit von unserer heutigen Realität weg.
Und natürlich gehen wir von den Erfahrungen aus, die wir in den vergangenen Jahrzehnten gemacht haben, nämlich, dass einige der grössten Menschheitsprobleme zu unseren Lebzeiten gelöst wurden und wenn sie noch nicht ganz gelöst sind, dann werden sie es bald sein. Das ist zwar tatsächlich eine Erfahrung, die uns Grund genug sein dürfte optimistisch zu sein, aber sie verführt auch dazu, sich einfach fatalistisch zurückzulehnen und darauf zu warten, dass sich der Rest (zuzüglich Klimawandel) irgendwie schon auch erledigen wird.
Dabei übersehen wir aber, dass Millionen Menschen viele Jahre an Utopien geglaubt und an ihrer Realisierung gearbeitet haben. Der Wohlstand im Nachkriegsdeutschland ist nicht einfach so vom Himmel gefallen, sondern wurde in erster Linie von Visionären in der Wirtschaft und in der Politik möglich gemacht.
Allerdings hat das jahrzehntelange Leben in der Komfortzone in vielen von uns eine scheinbar wachsende Unfähigkeit erzeugt, das Glück, das wir haben auch zu geniessen.

Das Wohlstandsversprechen

In der Nachkriegszeit wurde das Glück sozusagen an Bedingungen geknüpft. Wenn wir erst eine Wohnung haben, dann….wenn wir erst endlich auch ein Auto haben dann und so weiter und so fort. Und tatsächlich war das Glück gross (und anhaltend) wenn der langersehnte Schwarzweiss Fernseher endlich im Wohnzimmer stand. Die erste Waschmaschine, der erste Italienurlaub mit der Familie und Vieles mehr schienen als Feengeschenke aus einem Schlaraffenland und wurden von großem Jubel begleitet.
Hinzu kam natürlich auch der entsprechende Status; wer in den 50er/60er Jahren ein Auto sein eigen nennen konnte, der hat es geschafft und die ganze Welt hat ihm dabei zugeschaut. Sicherlich hat jede/r noch Fotos vom Vater, oder Grossvater, der sich voller stolz vor seinem Automobil hat ablichten lassen. Und tatsächlich war ein eigenes Auto auch die Tür zu mehr Freiheit, die Autobahnen waren relativ leer, es gab kaum Parkplatzprobleme und die Luft in den Städten wurde nach dem die Kohleöfen aus den Wohnungen entfernt wurden, auch besser.
Diese wenn-dann Erfahrung haben wir leider auch an unsere Kinder weitergegeben und die seit Jahrzehnten immer subtiler werdende Werbung tut auch sein bestes, damit möglichst viele Menschen ihre Glückserwartung an einen Joghurt, oder an einen Shampoo verschwenden. Neulich habe ich eine Baumwolltasche mit der Aufschrift gesehen. „Kauf jetzt oder heul später!“. Klarer kann man es eigentlich gar nicht formulieren.
Aber es ist falsch! Und die Rechnung zahlt tatsächlich die selbe Wirtschaft, die zu diesem Irrsinn verführt, denn das erfolglose Suchen nach Glück beschert mehr und mehr Menschen existenzielle Krisen, die zu Depressionen, Burnout und vielen anderen psychischen Erkrankungen führen, die sowohl die Arbeitgeber, als auch die Krankenkassen belasten.

Überfluss und Überdruss

Man muss das Buch von Erich Fromm „Überfluss und Überdruss“ gar nicht gelesen haben, um den Zusammenhang zwischen der Zunahme von psychischen Erkrankungen und dem ständigen Überfluss in dem wir navigieren müssen, zu erkennen. Man muss sich nur einmal den übervollen Kühlschrank anschauen und die aufsteigende Übelkeit beobachten, egal wie hungrig man ist; Überfluss ruft Ekelgefühle hervor.
Diese Reaktion ist völlig normal und wird inzwischen von der Neurobiologie bestätigt, denn wenn das menschliche Gehirn mehr als sieben Optionen hat sich für eine zu entscheiden, dann gehen die Sicherungen durch. So einfach ist das.
Aber bereits nach wenigen Schritten in einem Supermarkt werden wir mit sieben Möglichkeiten konfrontiert, also schieben wir den Einkaufswagen weiter und machen ihn voller und voller und voller, weil unser Gehirn gar nicht mehr in der Lage ist eine vernünftige Entscheidung zu treffen!
Daheim angekommen stellen wir fest, dass der Kühlschrank langsam zu klein wird, also muss ein neuer her und wenn man schon dabei ist, es gibt gerade sehr günstige Waschmaschinen, da könnten wir doch auch eine gleich mitbestellen. Und prompt sind wir auch noch in die „Schnäppchen-Falle“ getappt! Auch diese Phänomen ist inzwischen sehr gut untersucht: sobald das Gehirn „Schnäppchen“ irgendwo sieht, schaltet es auf Alarm und übt einen Zwang zu kaufen aus, dem wir kaum widerstehen können.
Wunschlos glücklich?
Utopien entstehen aus einem tief empfundenen Mangel an irgendetwas, das wir Menschen zu unseren elementaren Bedürfnissen zählen. Aber was passiert, wenn die physischen Bedürfnisse permanent und sofort befriedigt werden können? Wie kann Sehnsucht entstehen in einem Leben, dem es scheinbar an nichts mangelt?
Ich bin mir sehr sicher, dass es Vieles gibt an dem es Menschen in unserer Zeit mehr und mehr mangelt, nur haben wir es nie gelernt, uns die richtigen Fragen zu stellen.
Bevor man beginnt über die besten Strategien für die Karriereplanung nachzudenken, sollte man zunächst einmal klären, wieso man überhaupt Karriere machen möchte und was wirklich hinter diesem Wunsch steckt.
Hierzu schrieb schon Goethe in „Hermann und Dorothea“: „Denn die Wünsche verhüllen uns selbst das Gewünschte; die Gaben kommen von oben herab, in ihren eignen Gestalten.“

Träumen lernen

Wir leben nicht nur in einer erstaunlichen Zeit, vielmehr haben wir das große Glück in einer Zeit und auf einem Kontinent zu leben, der uns wohl das erste mal in der Geschichte der Menschheit erlaubt darüber nachzudenken, was im Leben wirklich wichtig ist. Wir müssen unsere Ideen und Kraft nicht mehr in den ewigen Kampf ums dasein investieren, sondern dürfen darüber nachdenken, welchen Sinn unsere Existenz haben könnte und welche Werte für das emotionale und geistige Überleben wichtig sind.
Das sollten wir dringend tun, sonst könnte es leicht passieren, dass wir all das, was uns scheinbar wichtiger ist, als Sinn und Werte, tatsächlich irgendwann verlieren.
Wir müssen wieder träumen lernen. Träumen von einer Zukunft, in der nicht nur die elementaren physischen Bedürfnisse befriedigt werden.
Wir brauchen eine grosse, gemeinsame Utopie einer Welt, in der der Mensch einfach Mensch sein darf; ein ewig Suchendes, neugieriges, kreatives Wesen voller Sehnsucht nach Wissen, nach Sinn und „Heimat“ in diesem unermesslich grossem Universum.

Und was sagt die Malerei dazu?

Ich sage gerne: „Male jedes Bild so, als wäre es dein erstes und dein letztes Bild.“

Um eine Utopie erträumen zu können, brauchen wir die Unschuld der Kindheit, die Grenzenlosigkeit der Phantasie und die Lust am spielerischen Entwerfen. Alles andere ist zunächst einmal nachrangig, denn die Realität eines Bildes ist ohnehin nicht ganz und gar planbar und bis das Bild fertig ist, wird sich ohnehin so viel verändert haben, dass es mit der ursprünglichen Idee kaum noch etwas zu tun hat.