Es fällt mir auf, dass ich in letzter Zeit recht oft über mein Leben schreibe. Ist das eine Alterserscheinung?
Egal! Ich muss es genau so wenig wissen, wie ich auch nie herausgefunden habe, warum ich eigentlich male.
Ich habe relativ lange gebraucht, bis ich die Kunst fand, oder vielleicht habe ich mich nur sehr gut versteckt und es der Malerei recht schwer gemacht, mich unter etlichen ad acta gelegten Berufswünschen und gescheiterten Versuchen, aufzustöbern.
Immerhin war ich bereits über 30, als die Entscheidung endgültig fiel; ich will ab jetzt nur noch malen und davon leben. Der Wunsch war definitiv äußerst waghalsig, zumal ich nicht nur für mich sorgen musste, sondern auch für meine beiden damals noch sehr kleinen Söhne.
Aber wie es manchmal so ist, können die richtigen Entscheidungen eine ungeheuer große Dynamik entfalten und es geschah sicherlich nicht über Nacht, aber step by step hat die Entscheidung tatsächlich Früchte getragen. Heute kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich mich gar nicht, oder anders entschieden hätte. Aber wenn und hätte gilt sowieso nicht – es ist wie es ist.
Malerei und die Ordnung in der Musik
Als Kind hatte ich überhaupt nichts mit Malerei zu tun, ich kann mich nicht einmal erinnern irgendwann gemalt oder gezeichnet zu haben. Allerdings haben mich meine Großeltern ab sechs Jahren in eine Musikschule geschickt.
Es war ab 1959 in Budapest und wie es damals auch bei Sportkindern war, wurde ich mehr oder weniger komplett auf ein Leben mit der Musik vorbereitet. Nach kurzer Zeit war mir klar, dass auf dem Klavier herum zu klimpern wenig befriedigend ist und richtig gut zu „spielen“ weniger mit Spiel, als mit harter Arbeit und viel Übung zu tun hat. Zum Klavier kamen dann noch drei andere Instrumente.
Meine Lehrer hatten die Idee, ich sollte Dirigentin werden, da ich offenbar meinen Mangel an Geduld am Klavier durch rudimentäre Führungsqualitäten kompensiert habe. Bis zu meinem 14 Lebensjahr war also mein Leben durch die Musik bestimmt und meine doch recht gut strukturierte Lebensart kann ich in erster Linie diesen Jahren verdanken.
Mit 14 fing ich an zu malen – groß und wild, es war viel Wut in mir. Mein damaliger Kunstlehrer hat mit allen Mitteln versucht, mir das Kopieren der konkreten Welt auszutreiben. Es ist ihm letzten Endes gelungen, denn bis heute ist für mich die Malerei der einzige Weg, die Welt, die sich hinter der Wirklichkeit verbirgt, sichtbar zu machen.
Malerei zu studieren kam mir zwar in den Sinn, aber da man damals erst mit 21 volljährig wurde, habe ich die Erlaubnis meiner Eltern nicht bekommen. Kunst sei viel zu unvernünftig, viel zu nutzlos; malen kann man ja, wenn man Zeit hat, aber ansonsten sollte man gefälligst einer geregelten Arbeit nachgehen, mit der man das Brot und mit etwas Glück sogar die dazugehörige Butter verdienen kann.
Wir haben uns dann auf die Fotografie geeinigt, das damals noch eher ein bodenständiges Handwerk, mit kreativen Elementen war, als umgekehrt.
Allerdings waren für mich die Möglichkeiten zu limitiert, die Erwartungen der Dozenten zu eng, zu viel Distanz zwischen mir und dem Objekt, zu viel Technik. Das Einzige, was mich aber wirklich begeistert hat, war die Arbeit in der Dunkelkammer. Experimentieren, verfremden – heute mit wenigen Klicks erledigt, waren zu der Zeit aufwändige Arbeiten, mit denen ich sicherlich etliche Nächte zugebracht habe.
Beruflichen Nutzen haben mir diese Art Spielereien natürlich nicht gebracht und nach einigen unglücklichen Versuchen mein Brot als angestellte Portraitfotografin zu verdienen, habe ich den Beruf bald aufgegeben.
Es schien verschwendete Zeit gewesen zu sein, denn mit Anfang 20 hatte ich immer noch keinen Beruf, der mir die ersehnte Perspektive geboten hätte.
Erst viele Jahre später wurde mir klar, wie wichtig die Fotografie tatsächlich für mich gewesen ist. Neben der Tatsache, dass auch hier (wie in der Musik) die Faktoren „Ordnung und Handwerk“ sehr relevant sind, habe ich gelernt die Welt durch den Sucher zu betrachten, immer in Ausschnitten sehen.
Dem Kleinen durch die Auswahl eine neue Bedeutung geben, denn aus dem Ganzen herausgelöst ist jedes Foto ein Universum für sich und die Informationsmenge wird in einem gut inszenierten Ausschnitt viel dichter, als sie ist, wenn man den selben Ausschnitt nur im Rahmen des Ganzen wahrnimmt.
Unternehmen Kunst
Die meisten meiner Zeitgenossen sind heute noch völlig überrascht, wenn sie in mein Leben, in meinen Alltag blicken. Es ist und war schon immer so, dass ich für die Malerei etwa 10 – 20 % meiner Arbeitszeit und -kraft investieren kann. Der Rest besteht aus all den Pflichten, die jeder von uns tagaus tagein erledigt. Freischaffende sind eigentlich „Kleinstunternehmen“, mit vielen Abteilungen.
Der einzige Unterschied zu anderen Unternehmen besteht darin, dass der Künstler sein einziges Personal ist. Ich war immer gleichzeitig Putzkolonne und Vorstand, Marketing und Hausmeisterei, Personalabteilung und Rechnungswesen.
Natürlich gibt es auch eine Abteilung, die permanent neue Ideen entwickelt, aber nur wenige dieser Ideen schaffen es wirklich durch die kritische Kontrolle der Realisierer. Eben auch vergleichbar mit dem Innovationsteam eines Unternehmens.
Summasummarum ist mein Mikrokosmos, wie auch das von Millionen Freiberuflern eigentlich die verkleinerte Kopie eines Unternehmens mit 100 oder 100 000 Mitarbeitern.
Die Tatsache, dass ich seit Jahrzehnten von der Kunst leben kann und es sogar ausgereicht hat, um meine Söhne alleine groß zu ziehen, kann ich mit Sicherheit nicht darauf zurückführen, dass ich über ein besonderes Talent in der Malerei verfüge.
Nein, ich halte meine Arbeit eher für durchschnittlich, es gibt unzählige Kollegen und Kolleginen, die wesentlich begabter und handwerklich besser sind als ich. Es war die günstige Kombination einiger Eigenschaften, die mir geholfen haben, die Malerei zum Brotberuf zu machen.
Die Disziplin, Kontinuität und Konsequenz, die ich in der Schulzeit über die Musik erlernt habe, bilden wohl die Basis. Nur ist es auch hierbei genauso, wie in allen anderen Lebensdingen, wenn ein gesundes Maß überschritten wird, wenn keine Gegengewichte für Ausgleich sorgen, führen diese Eigenschaften in eine leblos – erstarrte Lebenshaltung.
Malen und leben und malen
Bei mir wurden sie ergänzt durch einen unbändigen Spieltrieb, hohe Risikobereitschaft und sehnsüchtiger Neugierde. Die Freude an Farben und die Lust am gestalten, am neu erfinden, improvisieren, entdecken sind ebenfalls sehr wesentlich. Aber auch hier gilt die gleiche Regel; wenn diese Leidenschaften nicht kontrolliert werden, dann können sie äußerst destruktiv sein und vielleicht sogar zur völligen Selbstzerstörung führen.
Bei der Malerei kommt noch ein sehr wichtiger Faktor hinzu, es ist die Bereitschaft über sehr lange Zeiträume Einsamkeit nicht nur zu ertragen, sondern sogar zu genießen. In meinen produktiven Phasen meide ich jede Art von Ablenkung und versinke unter Umständen für einige Wochen voll und ganz in meine Bilder. Es gibt keinen Tag und keine Nacht; es gibt nur schlafen, oder wach sein. Essen wird völlig unwichtig, Hauptsache, es ist genug Kaffee und Schokolade im Haus.
Ja, es ist schon eine recht gefährliche Form der Besessenheit, aber auch hier hat bei mir irgendjemand eine Notbremse eingebaut wodurch ein endgültiges Abkippen in die Obsession immer rechtzeitig verhindert wird. Nach solchen Phasen brauche ich zwar einige Tage, um mich wieder in der Welt zurecht zu finden, dann erwacht aber die Lust auf Menschen, auf Kontakt, dann suche ich regelrecht nach der Öffentlichkeit, der ich mich vor kurzem noch vollständig entzogen habe.
Alles wird immer besser!
Heute, mit 65 beherrsche ich dieses Pendeln. Es hat aber sehr viele Jahre gebraucht, die Angst davor aufzugeben, den Weg in die Normalität irgendwann nicht mehr zu finden und ganz und gar in der Welt der Farben und Formen zu verschwinden.
Das ist das Schwierigste in einem Künstlerleben; einerseits zu lernen eine ungeheure innere Spannung nicht nur auszuhalten, sondern sogar zu nutzen, um daraus zu malen. Andererseits aber auch zu erkennen, dass man im richtigen Moment loslassen / aufhören muss.
Die Übergänge zwischen den Phasen scheinen vielleicht sogar noch bedrohlicher zu sein, als die Exzesse selbst, denn sie sind angefüllt mit einer unendlichen Leere, Orientierungslosigkeit, Selbstzweifel und Angst, aber nach so vielen Jahren schaue ich diesen Gefühlen mit ausreichend Abstand zu und weiß, dass sie vorüberziehen, wie dunkle Wolken nach einem Sturm.
Es gibt nur eines, das mir seit Dekaden dabei hilft in diesem Ozean von Wahn und Irrlichtern nicht zu ertrinken: das ist mein abgrundtiefes Vertrauen in das Gute, das letzten Endes immer gewinnt.
»Dem Kleinen durch die Auswahl eine neue Bedeutung geben, denn aus dem Ganzen herausgelöst ist jedes Foto ein Universum für sich und die Informationsmenge wird in einem gut inszenierten Ausschnitt viel dichter, als sie ist, wenn man den selben Ausschnitt nur im Rahmen des Ganzen wahrnimmt.«
Das unterschreib ich. Und … es ist immer der Mensch, seine individuelle Sichtweise, die aus seiner Erfahrung, seinem Leben geboren und geformt wird. Kameras, Pinsel, Farben sind das Werkzeug dessen, was in uns ist. 😉
(Wunderbares Blog, liebe Etelka. <3 )
Wunderbar geschrieben, liebe Etelka und danke dass du uns an deinem Leben teilnehmen laesst ?