Aussehen tut es nach nichts. Es hat sogar weit mehr Ähnlichkeiten mit einer verschrumpelten Kartoffel, als mit einem stylischen Smart-Phone und trotzdem ist es eines der grössten Meisterwerke der Natur; unser Gehirn.
In den vergangenen Jahren überschlagen sich die Erkenntnisse der Neurowissenschaftler und ebenso rapide steigen die populärwissenschaftlichen Publikationen über unsere grauen Zellen ins Unüberschaubare.
Mich interessiert natürlich in erster Linie das Phänomen der Kreativität; woher kommt sie, wie entsteht sie, wie kann man sie fördern und überhaupt.
Zunächst einmal die schlechte Nachricht: es gibt eigentlich nichts im Gehirn, was man als „Kreativ-Zentrum“ bezeichnen könnte, man hat bisher lediglich feststellen können, dass sich kreative Prozesse vorwiegend im Stirnlappen vollziehen. Das, was wir gerne als Kreativität bezeichnen findet an verschiedenen Orten statt und ist nicht explizit lokalisierbar. Es sind die Verbindungen im neuronalen Netzwerk auf die es ankommt und nicht die eine besondere Stelle, die wenn sie denn von den Lippen der Muse berührt wird, den Empfänger des Musenkusses zu übermenschlichen Leistungen befähigt.
So sind also auch all die Musen in Ehren entlassen – ruhet in Frieden, wir brauchen euch nicht mehr, denn das Göttliche funkt und feuert in jedem Oberstübchen und wer es nicht glaubt, möge sich eines der unzähligen PETs anschauen, die im Internet zu finden sind. Gelb und Rot zeigen Areale mit hoher, blau und schwarz mit geringerer Aktivität.
Das ist die gute Nachricht, denn sie verspricht Unabhängigkeit von den ebenso zahlreichen wie launischen Wesen, die sich für menschliche Genialität zuständig fühlen.
Die Landkarte im Oberstübchen
Man spricht gerne von der Landkarte des Gehirns und das erklärt eigentlich auch recht einfach, was geschieht, wenn wir denken, etwas versuchen zu „erschaffen“ oder mit etwas banalem wie das Putzen der Zähne beschäftigt sind.
Wir beschreiten Wege zwischen unseren Nervenzellen und wie auch im Wald sind hier Pfade, die oft benutzt werden, breiter als andere. Das heißt also, wenn ich etwas tue, was ich seit vielen Jahren in der gleichen Art und Weise zu erledigen pflege, dann wird mein Gehirn den bereits angelegten Weg freiwillig nicht verlassen und wird z. B das tägliche Zähneputzen immer auf die gleiche Art erledigen.
So wird aus einem anfänglich schmalem Dschungelpfad im Laufe der Jahrzehnte eine breite und sehr langweilige Strasse, auf der sich die Ereignisse in einem langsamen Strom dahin schieben bzw. sich die Zahnbürste von links nach rechts und von oben nach unten bewegt.
Nehmen wir aber einfach mal an, daß Sie (sofern Sie rechtshänder sind) die rechte Hand verletzt haben und gezwungen sind, sich die Zähne auf einmal mit der linken Hand zu putzen. Ihr Gehirn wird Purzelbäume schlagen, ob einer solchen Herausforderung und es wird wild rumfunken, um neue Verbindungen herzustellen, damit es auf diese unerwartete Veränderung mit der gewohnten Eleganz und Leichtigkeit reagieren kann. Unser Denkapparat wird also kreativ, beginnt sofort nach Lösungen zu suchen und wäre sicherlich bereit, sich auf völlig abwegige Experimente einzulassen wie z. B. die Füsse zu Hilfe zu holen und somit sogar als Nebeneffekt der Zahnreinigung, eine akrobatische Glanzleistung zu vollbringen.
Die oberste Steuerzentrale legt also neue Verbindungen an, verlässt den sicheren Boden der Routine und läuft plötzlich auf Hochtouren, um sich den unerwarteten Bedingungen anzupassen bzw. um eine unkonventionelle Lösung zur Behebung einer massiven Störung zu finden. Und wenn es gelingt, dann hagelt es Belohnungen mit gehirneigenen Drogen – je überraschender die Lösung, desto mehr wird das Belohnungssystem von diesen wunderbaren (und völlig legalen) Drogen ausschütten.
Auch auf die Gefahr hin, daß der Schluss, den ich aus all dem ziehe vermutlich wissenschaftlich nicht haltbar ist, betrachte ich genau diese Bereitschaft und Fähigkeit des Gehirns, nämlich bis zur letzten Sekunde neue Verbindungen anzulegen, als Kreativität.
No risk no fun?
Das Gehirn spiegelt in seiner wunderbaren Funktion im Grunde genommen nur das wieder, was jeder von uns aus seinem Alltag kennt; Routine gibt zwar Sicherheit und ist äußerst Zeit – und Energiesparend, lässt aber keinerlei Freiräume für Neues. Sich auf Neues einzulassen ist andererseits mit vielen nicht kalkulierbaren Risiken verbunden.
Muss man sich also für das eine oder andere entscheiden; entweder Sicherheit und Langeweile oder Risiko und Spaß?
Nein, als Dauerzustand wären sowohl die Frustration in einem ganz und gar durchgeplantem Leben, als auch die chaotische Unproduktivität eines ununterbrochenen geistigen Höhenfluges unerträglich. Man sollte nur schauen, dass im Alltag genug Platz bleibt für das Spielerische, so dass sich beide Seiten gegenseitig befruchten können.
Und es müssen nicht unbedingt die Mega Projekte sein, die schon bei der Vorbereitung scheitern. Viele Kleinigkeiten, die sich sehr gut in den Alltag integrieren lassen, bieten mit ein wenig Phantasie viel Potenzial, um mal „aus der Reihe zu tanzen“. Zum Beispiel können Sie die Routine unterbrechen bei Essgewohnheiten, Kleidung, Fahrwegen – machen Sie aus Ihrem Leben mit vielen kleinen Gesten ein großes Abenteuer!
Und wenn es gerade keine andere Möglichkeit gibt, um das Oberstübchen in Wallung zu bringen, nun, dann putzen Sie sich eben zwischendurch mal die Zähne mit der linken Hand. (Fortgeschrittene tun es auch beidhändig.) Das Genie in Ihnen wird es zumindest mit einem Lächeln danken, aber vielleicht erleben Sie sogar, dass Ihre Kreativität Sie über den ganzen Tag begleitet und Ihnen den Alltag verschönert.
Es ist tatsächlich so einfach, funktioniert auch ohne Musenkuss, oder göttlichem Beistand. Das Genie wohnt auch in Ihrem Gehirn, vermutlich im zweiten Stock, oben links. Dreimal klingeln und vor dem Eintreten bitte alle Vorurteile ablegen..
[…] fanden wir einen interessanten Artikel von “der Bergoma” alias Etelka Kovacs-Koller. Sie ist eine freischaffende Künstlerin […]