Wie das Altern seinen Schrecken verliert und das letzte Drittel des Lebens produktiv und sinnvoll in den Lebensplan integriert werden kann.
Alt – ein Plädoyer gegen Antiaging
Am vergangenen Montag ist ein Interview mit mir in einem Fashion – Blog erschienen. Ich beantworte dort Fragen zu Mode und Schönheit und, wie sich meine Haltung dazu im Laufe meiner 60 Lebensjahre gewandelt hat. Interessant für mich, weil ich ja sonst in der Regel zur Malerei befragt werde und vielleicht auch interessant für andere Frauen, darüber zu lesen, wie eine Künstlerin mit Mode und Schönheit umgeht. So war das Ganze gedacht, so war es geplant und es kam dann doch ganz anders.
Es mag zwar sein, dass meine Statements zu Mode ganz interessant sind, sie können aber ganz sicher nicht der Grund sein für die enorme Resonanz.
Was ist es also? Was habe ich geschrieben, gesagt, das diese unglaublich positive Reaktion hervorgerufen hat?
Es ist mein Alter.
Im Laufe der letzten Tage ist mir klar geworden, dass der sog. demografische Wandel weit mehr bedeutet, als die Furcht einer Gesellschaft vor Überalterung, Altersarmut u.ä.
Die Furcht davor keinen Lebensplan zu haben, der die Jahre zwischen 60 und 80 als produktive Lebenszeit integriert, scheint mir viel wesentlicher zu sein.
Lebensmodell bis 60?
Unsere Lebensmodelle richten sich immer noch nach einer Lebenserwartung von 60+ ein paar Jährchen. OK, da muss man sich tatsächlich nicht viele Gedanken machen, denn die paar Jährchen nach einem mehr oder weniger stressigen Berufsleben und nach Aufzucht der Kinder, kriegt man schon irgendwie rum. Man kann reisen, endlich mal in Ruhe Golf spielen, sich langsam aber sicher auf das zu erwartende Siechtum einstellen und dafür sorgen, dass man rechtzeitig einen Ort hat, wo man fröhlich betreut auf den Tod warten kann.
Das ist der Plan, so haben wir es schon immer gemacht und so werden wir auch in Zukunft mit Reisebussen Seniorenreisen unternehmen und die Toiletten der Autobahnrastsstätten scharenweise überfallen. So wird es gehen, bis es nicht mehr geht, bis gar nichts mehr geht und dann das Ende kommt.
Das klingt doch fein, das klingt nach einem Plan. Aber kann man wirklich 20 bis 30 Jahre damit verbringen, sich selbst und anderen mit Anekdoten aus dem Bus, vom Friedhof, vom Golfen oder irgendwelchen Zipperlein auf die Nerven zu gehen?
Kann man ganz sicher nicht, denn auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole; wir sprechen hier von 20 bis 30 Jahren! Sicherlich ist das für die meisten von uns eine abstrakte Vorstellung, ein Zeitrahmen, den wir nur schlecht erfassen können. Wenn man aber auf die vergangenen 20 bis 30 Jahre seines Lebens zurückblickt, wird man erstaunt feststellen, was sich alles in dieser Zeit abgespielt hat; von einigen großen Veränderungen bis hin zu unzähligen scheinbar bedeutungslosen Ereignissen, die man zwar leicht vergisst, die aber trotzdem das ganze Leben ausmachen.
Wir brauchen dringend einen neuen Plan!
Es könnte schon in der Jugendzeit damit beginnen, dass die „Spielzeit“ verlängert wird. Damit meine ich, dass sich die jungen Menschen ruhig mehr Zeit nehmen könnten die Welt zu entdecken, mehrere Berufe zu lernen, Erfahrungen zu machen, bevor sie sich in die Normalität von Beruf und Familie begeben. Wozu die große Eile? Klar, zu den Zeiten, als die Lebenserwartung etwa halb so hoch war wie heute, mussten Frauen ihre Kinder jung bekommen, damit sie sie aufziehen können. Und die Männer mussten die Apfelbäumchen zeitig pflanzen, damit sie ausreichend Äpfel für den Nachwuchs haben.
Aber heute haben wir Zeit.
Was die Evolution sagt
Das nächste, was dringend einer Erneuerung bedarf, ist die Vorstellung vom alt sein. Auch das muss schon in der Jugendzeit beginnen, denn wenn ein junges Mädchen ein altes Gesicht hässlich findet, dann wird es ab 40 nicht mehr gerne in den Spiegel schauen. Seien wir mal ehrlich, wenn man es genau nimmt, dann wird uns die Idee von der Schönheit eines faltenlosen Frauengesichts von der Evolution eingeflüstert.
Für die Evolution ist nur wichtig, dass sich unsere Spezies verbreitet und da Frauen ab einem gewissen Alter nicht mehr zur Erhaltung der Art beitragen können, werden sie entschönt. Anders bei Männern, sie sind bis ins hohe Alter zeugungsfähig und behalten ihre Attraktivität, bzw. sind sie zwar keineswegs attraktiver, als Frauen im gleichen Alter, nur sind sie noch immer funktionstüchtig, wenn es um die Fortpflanzung geht und das macht ein altes Männergesicht sexuell attraktiv. So einfach ist das.
Künstler ohne Alter
Mein Tip an alle, die hoffentlich irgendwann tatsächlich alt werden: orientiert euch an Künstlern. Es gibt nicht viele, aber doch eine recht ansehnliche Zahl an Künstlern, die sehr alt geworden sind und bis zum letzten Atemzug produktiv waren.
Uns es gibt heute immer mehr fantastische Frauen, die würdevoll und produktiv altern; Yoko Ono ist 80, Vivienne Westwood ist 70 – sie beide gehören zu den Frauen, die sich zu ihren Falten bekennen, die das Altern nicht mit dem Rückkehr der Pubertät verwechseln und sowohl persönlich, als auch in ihrer Arbeit eine ganz eigene, eigensinnige und gereifte Qualität entwickelt haben.
Lebenssinn
Natürlich muss nicht jeder mit 60 eine Karriere, als Künstler anstreben, darum geht es nicht. Es geht um Sinn. Es geht um innere Haltung.
Es geht um das Vertrauen bis ans Ende des Lebens, etwas leisten zu können, wovon andere Menschen profitieren. Last but not least geht es auch darum Wege zu finden auch im Alter die Gesellschaft zu bereichern, anstatt ihr zu Last zu fallen.
Wenn wir heute damit anfangen uns über die letzten Lebensjahrzehnte Gedanken zu machen, dann verliert nicht nur der demografische Wandel seinen Schrecken, vielmehr ist es ein unglaublicher Gewinn für jeden, davon auszugehen, dass er 80 bis 90 Jahre alt wird, niemals aufhört zu lernen und sein Leben immer einen Sinn haben wird. Perspektiven, Träume und Zukunftspläne werden einem nicht geschenkt, die muss sich jeder selbst schaffen.
Also los ihr Jungen und Alten dieser wunderbaren Welt, erobert euch die Zeit, denn Zeit ist wie ein Pfannkuchen; auf die Füllung kommt es an!
Frauen ab 60 –Das Interview über Mode und Schönheit bei Texterella.
viele alte männergesichter macht auch nur die ausreichend gefüllte brieftasche attraktiv oder die stellung in der gesellschaft, s. Berlusconi & co. …und ein schönes finanzielles polster macht auch die frau frei. Dann kann ich sagen “ meine falten gehören mir“ ;))
Aus nicht sehr schönen, privaten Gründen, habe ich vor 3 Jahren eine kleine Firma für Webdesign gegründet – mit damals 56 Jahren. Es ist ein ganz neuer Arbeitsbereich für mich und ich lerne täglich dazu. Das hält natürlich das Gehirn fit, für mich das wichtigste im Alter.
Nun mit fast 60 Jahren, kann ich mir nicht vorstellen, mit 65 zu sagen „nun ist Schluß, ich geh in Rente“.
Sollte ich das Glück haben, lange gesund zu bleiben, möchte ich weiter arbeiten.
Wir sind, glaube ich, eine Generation, die mit einem „betreuten Wohnen“ oder einem Altenheim wenig anfangen kann. Es paßt einfach nicht zu uns.
Fazit: Falten sind gelebtes Leben und mit einem jungen „Geist“ reden auch die jungen Menschen gerne.
Was für ein wunderbarer Artikel!
Ich bin immer auf der Suche nach positiven Vorbildern fürs Älter- und Altwerden (komisch, dass man zuerst älter wird und dann erst alt, nicht wahr?), und hier habe ich eines gefunden.
Es gibt nicht viele Frauen jenseits der 50, die ihr Leben wirklich lustvoll und tollkühn leben! Eine weitere ist meine ehemalige Nachbarin, eine Lehrerin im (Un)ruhestand. Ich liebe diese kleine, körperlich und geistig agile Frau, die mit ihrem Wohnmobil die Welt bereist, sich für Kunst interessiert, sich in einem Verein engagiert und ansonsten das Leben in vollen Zügen genießt.
Sie ist alt, aber schön. Denn wie Etelka sehr richtig sagt: „Das nächste, was dringend einer Erneuerung bedarf, ist die Vorstellung vom alt sein. Auch das muss schon in der Jugendzeit beginnen, denn wenn ein junges Mädchen ein altes Gesicht hässlich findet, dann wird es ab 40 nicht mehr gerne in den Spiegel schauen“.
Jutta Bissinger